von Melanie Stühler

Maßstäbe setzen

Mach’ das Beste aus dir. Etwas Besseres kannst du nicht tun.

Ralph Waldo Emerson

Das lässt sich leicht übertragen auf das Team Mensch-Hund. Denn, das was sich entwickelt und später zeigt, ist das Ergebnis dieses Teams.

Sicherlich wäre der gleiche Hund bei einem anderen Menschen auch anders. Es gibt talentiertere Hundeführer und nicht so talentierte. Es gibt talentierte Hunde und nicht so talentierte.

Auch der beste Hundeführer wird sich nicht mit einem Jagdterrier auf einen Wettbewerb zum Leistungshüten vorbereiten. Aber er wird versuchen, die Talente seines Hundes in die richtige Richtung zu fördern und eine Karriere als Hütehund ist es sicher nicht.

Als Trainer habe ich es oft mit unerfahrenen Ersthundebesitzern zu tun. Was den Unterschied zu den erfahrenen Hundeführern oder den „Profis“ ausmacht, ist die Tatsache, dass es keine Erfahrungswerte gibt, auf die sie sich stützen könnten. Alles ist neu. Und so ist der Mensch erst mal hauptsächlich mit sich beschäftigt. Oder die Gedanken drehen sich um die Übung und wie man sie angeht. Vergessen wird dabei ab und an, dass es darum geht den Hund in diese Übung und die Überlegungen mit einzubeziehen. Denn die wenigsten Menschen haben einen erfahrenen Hund an ihrer Seite. Auch der Hund kann nicht aus Erfahrungen schöpfen und erraten was gerade gewünscht ist. Dem erfahrenen Hundeführer stehen ab und an seine Routine und der Hang zur Verallgemeinerung im Weg. Da wird eben mal vergessen, dass jeder Hund eine eigene Persönlichkeit hat und ein individuelles Training erfordert.

Das bedeutet eben auch, dass man die Maßstäbe des Trainings immer wieder neu anpassen muss.

Alles was „zu“ ist, ist ungesund hat meine Oma immer gesagt. Zu wenig, zu viel, zu langweilig, zu komplex…

Es gilt aber auch für unsere Ansprüche und damit für Lob und Anerkennung. Natürlich immer angepasst an den Hund und die Voraussetzungen (Alter, Rasse, Ausbildungsstand).

Um es mal auf uns Menschen zu übertragen: natürlich freuen wir uns und loben das kleine Kind, wenn es sich zum ersten Mal allein angezogen hat. Ich gehe aber davon aus, dass man als Erwachsener nicht mehr in Jubelrufe ausbricht und Bonbons wirft, nur weil der Partner/die Partnerin morgens fertig angezogen aus dem Bad kommt.  

Über die entsprechenden Emotionen bei der Arbeit mit dem Hund habe ich schon einiges geschrieben, jetzt kommt es aber auch auf unsere innere Einstellung an. Bin ich eher der Typ „Kritiker“ oder eher der „Fan“?

Der Kritiker hat immer die ganze komplexe Aufgabe vor Augen und nur das große Ganze wird gelobt, wenn es denn zu 100% erfüllt ist. Der Fan sieht einen kleinen guten Part und lobt diesen überschwänglich, auch wenn die eigentliche Aufgabe nicht erfüllt ist.

Wie meistens, ist es der goldene Mittelweg. Ich kläre mit meinen Kunden immer das Hauptaugenmerk der Aufgabe. Sei es das Ignorieren einer Verleitung, die Konzentration auf den Menschen trotz Ablenkung, das Vertrauen in die Hand beim Voran gehen etc. Andere Dinge, behalte ich im Auge und arbeite dann gesondert daran.

Wäre unser Hund Konditorlehrling würde es bedeuten, ich lasse ihn eine 3stöckige Torte backen und verzieren (mit Fondant und selbst gemachten Marzipanblumen). Die Torte schmeckt hervorragend, der Teig und die Füllung sind perfekt. Der Fondant schlägt ein wenig Falten und hat ausgebesserte Risse und die Blumen sehen aus, als wäre schon mal jemand drauf getreten…

Der Kritiker würde gar nicht loben. Das Ziel ist nicht erreicht. Pech.

Der Fan würde die großartige Torte loben und anmerken, die Hauptsache ist doch, dass es schmeckt. Und an die Optik erinnert sich später eh niemand mehr.

Der goldene Mittelweg wäre, den Lehrling für die gut gebackene Torte und den guten Geschmack zu loben und das mit dem Verzieren und dem Fondant nochmal sehr genau und gesondert zu üben. Dafür muss man aber nicht immer die ganze Torte neu backen, das kann man separat üben.

Wie eben auch die perfekte Abgabe, das gerade Vorsitzen, die gute Grundstellung etc.

Trotzdem sollten wir das große Ganze nicht aus den Augen verlieren. Aber wenn kleine Teile nicht funktionieren, ist noch nicht das große Ganze verloren. Dabei hilft es sehr, die Aufgaben und Ziele in einzelne Komponenten zu zerlegen und nach uns nach ins große Ganze zu bringen.

Oder um es mit Goethe zu sagen: „Willst du dich am Ganzen erquicken, so musst du das Ganze im Kleinsten erblicken.“

Neben Emotion und Weitblick ist es auch ganz viel Struktur, die im Training von Bedeutung ist.

© Text und Bild: Melanie Stühler
Illustration: http://www.skyjackstudios.com/

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